Gedanken anlässlich des Weltflüchtlingstags 21.6.2020
„Solidarität mit gefährdeten Personengruppen.“
„Menschenleben vor wirtschaftliche Interessen stellen.“
„Entschlossenes Handeln, einschneidende Maßnahmen.“
Diese Ansagen hörte man oft in den letzten Monaten.
Vieles sprach dafür.
Und viele solidarisierten sich – offenbar – gerne
Und das, obwohl „Solidarität“ als Leitprinzip gesellschaftlichen Handelns längst totgesagt wurde.
Na also – es geht ja doch!
Doch für wen galten und gelten diese bemerkenswerten Strategien und Parolen?
Für uns natürlich, klar, aber für uns alle? Oder doch nur für bestimmte, nur für „unsere“, für die, mit dem richtigen Pass, für die, die durch Zufall zur rechten Zeit am rechten Ort geboren wurden …?
Viren zählen, Fieber messen und: Grenzen dicht – Corona machts möglich!
Viel Geld wird aufgeboten, um die Existenz der Menschen in Europa zu sichern. Gleichzeitig herrscht beschämendes Feilschen um die Aufnahme von Flüchtlingen, um Kinder aus den überfüllten Lagern in Griechenland. Der österreichische Bundeskanzler blieb in dieser Frage zum Fremdschämen stur.
Die ausländischen Pflegekräfte, denen man erst kürzlich die Kinderbeihilfe kürzte, werden dazu aufgerufen, „unsere“ alten Menschen in der Not nicht im Stich zu lassen. Man appelliert an ihr Mitgefühl, an ihre Solidarität – und viele von ihnen bleiben tatsächlich im Land und betreuen 24 Stunden pro Tag, 7 Tage pro Woche unsere pflegebedürftigen Angehörigen – trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung.
Wie passt das zusammen, diese unterschiedliche Bewertung menschlichen Lebens?
Covid-19 unterscheidet nicht nach Herkunft, Hautfarbe, Nationalität oder sexueller Orientierung. Der Klimawandel auch nicht.
Treffen wird es die Schwächsten am Stärksten. Aber die Folgen kommen überall an. Das zumindest sollten auch unsere Regierungsverantwortlichen aus den letzten Monaten gelernt haben.
Solidarität mit Menschen, die, warum auch immer, gefährdet sind, kann nicht an den Grenzen von Ländern oder Kontinenten enden.
Die Auswirkung der Globalisierung, oder anders gesagt: die starke Verbundenheit der Menschen auf diesem Planeten, die auch eine wechselseitige Abhängigkeit bedeutet, ist – im Guten wie im Schlechten – hautnah spürbar geworden, vermutlich für jede und jeden von uns, vermutlich für jeden ein bisschen anders.
Denn auch das hat die Coronakrise wie unter einem Brennglas gezeigt: die unterschiedlichen Lebensbedingungen von Menschen, nicht nur global, sondern auch innerhalb dieses einen Landes.
Könnte das nicht eine Chance sein?
Könnte es sein, dass die Gesellschaft vielleicht eine Ahnung davon bekommen hat, dass ein gutes Leben nur ein gutes Leben für ALLE bedeuten kann? Und dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, einen dringend notwendigen Kurswechsel einzuleiten? Einen Kurswechsel in Richtung solidarisches Handeln?
Egal, ob es um unser Bildungssystem geht, das Chancengleichheit verhindert und Potenziale ignoriert, oder um Klimapolitik, die zugleich Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Asylpolitik ist. Hier wie dort wird Ungleichheit befördert, statt ausgeglichen, werden Menschengruppen gegeneinander aufgehetzt, statt durch Information und offene Diskussion gegen Ängste und Misstrauen anzukämpen.
Könnte es nicht sein, dass diese Erfahrungen aus den letzten Wochen und Monaten, dieser Funke an Einsicht, an Hoffnung, an persönlicher Horizonterweiterung überspringt, sich verbreitet und ein Umdenken in Gang setzt, dem sich auch die Regierungsverantwortlichen nicht länger entziehen können?
Für diesen Funken treten wir ein und für den Glauben an ein gesellschaftliches Miteinander, in dem Verbundenheit weit mehr umfasst als Ansteckungsgefahr.
Wir fordern:
- Zugang zu einer unabhängigen Rechtsberatung für alle Asylwerbenden
- die Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen muss auch Österreich wahrnehmen
- Kinder und Jugendliche aus den überfüllten Lager auf Lesbos, Chios und Samos holen (viele haben vielleicht Verwandte, Onkel, Tanten oder Geschwister in Österreich)
- den strukturellen Rassismus in Österreich bekämpfen
- Anerkennung und Förderung der Mehrsprachigkeit in der Schule und den Bildungseinrichtungen
- für Asylwerbende: spätestens nach neun Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt
- mehr Chancen, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, auch für Asylwerber*innen
Verein VOBIS, am 21.06.2020